Der globale Renditeanstieg hat seit knapp zwei Wochen wieder etwas nachgelassen. Die Anleihenkurse haben sich seither auf tiefen Niveaus stabilisiert. In Grossbritannien haben sich die Turbulenzen an den Anleihenmärkten seit dem Rücktritt von Liz Truss und Kwasi Kwarteng wieder gelegt. Zehnjährige Gilts handeln aktuell zu Renditen von 3.5% im Vergleich zu den Höchstständen von 4.6% vor wenigen Wochen. Die Inflation bleibt hartnäckig und dürfte im Oktober in Europa einen neuen Höchststand erreichen. Eurostat rechnet mit einer Jahresteuerung von 10.7%. Ähnlich sieht das Bild in den USA aus mit einer Inflationsrate von 8.2% und einer Kerninflation von 6.6% im September. Gemäss Ökonomen dürfte die weltweite Inflationsrate mit rund 10% im dritten Quartal den Höhepunkt erreicht haben und sich bis Ende 2023 wieder halbieren. Wir rechnen für die kommenden Quartale ebenfalls mit abnehmenden Inflationsraten. Verschiedene Daten deuten darauf hin. Die Energiepreise in Europa haben sich von ihren Extremwerten im August deutlich gelöst und fallen weiter stark (siehe FOKUS). In den USA deuten aktuelle Daten bereits darauf hin, dass die Güterinflation weiter abnehmen dürfte. Frachtraten, Rohstoffe (ex Nahrung und Energie) und DRAM-Preise fallen bereits seit Jahresbeginn. Zudem haben sich in verschiedenen Sektoren die Engpässe bei Lieferketten verbessert. Auch die Mietpreise für Erstvermietungen fallen seit wenigen Monaten. Steigende Löhne aufgrund des nach wie vor soliden US-Arbeitsmarkts werden dieser Entwicklung jedoch begrenzt entgegenwirken. Regionale Umfragen der Fed, der Atlanta Fed Wage-Growth Tracker und rückläufige JOLTS deuten darauf hin, dass auch das Lohnwachstum möglicherweise einen Höchststand erreicht hat. Ob dieser Trend anhält, ist abhängig davon, wie lange der Arbeitskräftemangel noch anhält. Dem wirkt die Fed mit ihrer aggressiven Geldpolitik entgegen. Wenn der Inflationsdruck in den kommenden Monaten deutlicher nachlässt, wird die Fed ihren Straffungspfad weniger ausgeprägt fortführen und Zeit gewinnen, um die Auswirkungen der Geldpolitik auf den Arbeitsmarkt und die Realwirtschaft besser quantifizieren zu können. Die Risiken einer sehr tiefen Rezession könnten damit etwas gelindert werden, obwohl der Bondmarkt hier eine deutliche Warnung mit der Inversion zwischen der 3-Monats und 10-jährigen Zinsstruktur darlegt. Die EZB dürfte sich ähnlich verhalten. Die Wachstumsaussichten und die Finanzstabilität sind in der Eurozone ohne geregelte Fiskalunion ungleich komplexer als in den USA. Aktien dürften in dieser Phase dank gebremster Zinspolitik noch weiteren Support erhalten, bevor ein Realitätscheck erfolgt, bei welchem die Gewinnschätzungen für das kommende Jahr nach unten revidiert werden müssen. Dies dürfte erneuten Druck auf die Aktienpreise ausüben, auch wenn die Bewertungsübertreibung der vergangenen Jahre selektiv abgebaut ist und sich die aktuellen Bewertungsniveaus im historischen Kontext wieder auf fairen Niveaus bewegen. Anleihen haben inzwischen ebenfalls wieder attraktivere Niveaus erreicht.
Die erneuten Rückschläge Mitte Oktober wurden von einem pessimistischen Sentiment, einer hohen Schwankungsbreite innerhalb eines Tages und einer Rekordanzahl gehandelter S&P 500 Optionskontrakte begleitet. In den nachfolgenden Tagen setzten die westlichen Aktienmärkte zu einer Erholung an, welche bis zum Monatsende anhielt. Der S&P 500 gewann +8% und der Nasdaq 100 +4%. Die europäischen Indizes konnten zwischen +5% und +9% zulegen, wobei der SMI mit +5.5% und UK mit +3% das Schlusslicht bildeten. Die chinesischen Aktienindizes entwickelten sich in die entgegengesetzte Richtung, welche kurz nach den einwöchigen Feiertagen der Golden Week von Anfang Oktober im Fokus des 20. Parteikongress standen. Die Machtbündelung Xi Jinpings, ausbleibende Reformen und der klare Vorrang von Ideologie löste einen Ausverkauf an den chinesischen Börsen aus. Der Hang Seng verliert im Oktober -14.7% in HKD und der CSI 300 büsst -8.7% ein in CNY. Erst rund die Hälfte der Unternehmen haben in der aktuellen Gewinnberichtssaison die Zahlen veröffentlicht und bislang liegt das Gewinnwachstum in den USA bei 1.9% und die Umsätze stiegen um 11%. Der Energiesektor verzeichnet mit einem Anstieg von 140% das stärkste Gewinnwachstum, während der Grundstoffsektor mit -34% den stärksten Gewinnrückgang aufweist. Die grossen Techwerte (Microsoft, Amazon.com, Alphabet, Meta) enttäuschten die Gewinnerwartungen deutlich, Apple vermochte hingegen noch positiv zu überraschen. In den bevorstehenden Quartalen dürfte sich der Margendruck akzentuieren und deutlicher auf die Gewinne durchschlagen. Entsprechend werden die Gewinnerwartungen nach unten revidiert werden müssen. Eine Gewinnrezession dürfte zu einem erneuten Anstieg der Volatilität und tieferen Aktienkursen führen.
Die Renditen von zehnjährigen Staatsanleihen stiegen zwölf Wochen in Folge und verzeichneten damit die längste Phase von Anleiheverlusten seit 1980. Inzwischen haben sich die globalen Anleiherenditen von ihren Höchstmarken Mitte Oktober etwas gelöst. Die kurzfristigen Leitzinsen in den USA und Europa nähern sich zudem einem restriktiven Niveau (neutraler Zinssatz). Entsprechend könnten die Fed und die EZB im Jahr 2023 allmählich das Tempo der Zinserhöhungen verlangsamen. Zudem sind Unternehmen und Verbraucher in der Eurozone weiterhin mit starkem Gegenwind konfrontiert – dieses Umfeld deutet auf niedrigere Renditen hin. In den USA bleibt der US-Verbraucher trotz anhaltendem Preisdruck widerstandsfähig und sollte das Reallohnwachstum weiter steigen und die Inflation abnehmen, so dürfte der Konsum die US-Konjunktur weiterhin stützen. In den Mid-Term Wahlen werden mit hoher Wahrscheinlichkeit die Demokraten die Mehrheit im Senat verlieren, was die US-Staatsausgaben in Zukunft etwas bremsen dürfte – und auch so den Inflationsdruck durch weniger staatlichen Interventionismus lindern könnte.
Der USD ist eine antizyklische Währung und notiert aufgrund seiner Attribute als wichtigste «save-haven» Reservewährung und der positiven Zinsdifferenz gegenüber den wichtigsten Handelswährungen weiterhin stark. Gemessen an der Kaufkraftparität ist der USD aber deutlich überbewertet. In Antizipation an eine erneute Zinserhöhung der EZB um 0.75% im Oktober, erstarkte der EUR gegenüber den wichtigsten Währungen und erreichte zum USD kurzfristig Parität. Der CHF tendierte im Berichtsmonat entsprechend schwächer. Nachdem die OPEC-Produktionskürzungen ankündigte stiegen die Erdölpreise wieder deutlich an (Brent +11%). Die Gaspreise in Europa setzten ihren Kursverfall fort, was dem Inflationsdruck etwas Abhilfe verschaffen wird (siehe FOKUS).
Die hohen Inflationsraten dürften weitere Zinserhöhungen der Zentralbanken mit sich bringen. Das Tempo der Zinserhöhungen dürfte aber deutlich weniger ausgeprägt ausfallen, sollten sich die Anzeichen einer nachlassenden Inflation in den aggregierten Daten niederschlagen. Diese würde den Anleihen und Aktien kurzfristig Auftrieb verleihen. Die Gewinnrezession steht erst noch bevor und wir erwarten, dass sich die Auswirkungen des Margendrucks und tieferem Wachstum im ersten Halbjahr 2023 verdeutlichen wird. Die Gewinnrückgänge und die tieferen Wachstumsraten werden potenziell erneute Verluste und eine höhere Volatilität bei den Aktienkursen zur Folge haben. Wir gehen heute aber nicht davon aus, dass die Wirtschaftsabschwächung und die gestiegenen geopolitischen Risiken in eine systemische Krise münden. Derzeit sprechen jedoch trotz allem die relativen Bewertungen weiterhin nicht für ein „screaming buy“ bei den Aktien: die reale Gewinnrendite für US Aktien liegt bei -7% im Vergleich zu den Risikolosen Staatsanleihen, welche mit -3% bewertet sind.